© René Grusche

Auf den Spuren von Martin Luther

von Anna Schütz

Mit Kindern in der Lutherstadt Eisleben

Luther begegnet uns im Moment – kurz vor dem großen Jubiläumsjahr 2017 überall: auf Litfasssäulen, in Zeitschriften und Veranstaltungsprogrammen. Aus gegebenem Anlass frage ich also meine Kinder: „Kennt ihr den Mann da auf dem Plakat?“ „Ne! Aber ganz schön dick isser“, antwortet mein Neunjähriger keck, aber durchaus zutreffend. Ich gebe die Frage weiter an den zwei Jahre älteren Bruder: „Und du? Was weißt du von Luther?“ „Hat der nicht die Bibel vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt, damit auch die einfachen Leute sie verstehen konnten?“ erklärt der. „Immerhin“, denke ich, „die Richtung stimmt“, und verbessere: „Jein, er hat sie vom griechischen und hebräischen Originaltext aus übersetzt.“ So vermied er zum einen bereits vorhandene Übersetzungsfehler und konnte ein besser verständliches Deutsch verwenden. „Aber Luther war noch viel mehr als ein Übersetzer! Er lebte im Mittelalter und war mit vielem, was damals in der Kirche gemacht wurde, nicht einverstanden. Darum schlug er vor fast 500 Jahren mit einem Hammer ein Papier an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg, wo er Professor war, das die ganze Welt erschüttern sollte...“
Ich beginne zu erzählen und bin überrascht, wie aufmerksam meine Kinder zuhören und weiterfragen. Die Geschichte des Mönches aus Eisleben, der die Kirche verändern wollte und dessen Protest rasant begeisterte Anhänger fand, scheint sie zu faszinieren. „Der Papst und die Kirchenoberen waren natürlich entsetzt über Martins Ideen. Schließlich kritisierte er vor allem, dass die Menschen Geld für den Erlass ihrer Sünden bezahlen sollten. Sie schlossen ihn aus der Kirche aus und erklärten ihn für vogelfrei, das heißt: Jeder durfte ihn töten, ohne dafür bestraft zu werden. Dass seine Ideen aber um die ganze Welt zogen, konnten sie nicht verhindern.“ „Und hat ihn einer erwischt?“ wollen die beiden wissen. „Nein, Luther hatte Glück; er konnte sich auf der Wartburg in Eisenach unter dem Namen Junker Jörg verstecken. Dort hat er dann begonnen, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen.“
„Soviel Interesse muss unterstützt werden“, denke ich, und wir machen uns kurzerhand auf in Luthers Geburts- und Sterbestadt Eisleben, deren Luthergedenkstätten 1996 als Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt wurden. Die Stadt erstreckt sich in den Tälern des Talbaches und der Wipper im Übergangsgebiet zwischen östlichem Harzvorland und Unterharz. Vorort begeben wir uns auf Rat der Museumspädagogin der Stadt auf eine digitale Schnitzeljagd und entdecken so einige der authentischen Schauplätze aus der Biografie des Reformators. Besonders beeindruckt sind wir von der St. Petri-Pauli-Kirche, Martins Taufkirche. Ein heller, schlichter Raum empfängt uns, und plötzlich sehen wir neben dem Taufstein, in dem Luther am 11.11.1483, am Tag nach seiner Geburt, getauft wurde, einen großen
Ganzkörper-Taufbrunnen, dessen Wasser sich sanft bewegt. „So wäre ich auch gern getauft worden“, flüstert mein Großer, und ich denke dasselbe. Für die Rallye aber müssen wir wieder raus aus der Kirche, um den Grundriss der Kirche aufzumalen und die Höhe des Kirchturms zu schätzen. Natürlich gibt es auch actionreichere Aufgaben wie Tintenfassweitwurf und Fragen zu Luther. Wir entdecken das Städtchen und die überall verteilten Lutherrosen, sehen die frisch restaurierte Lutherstatue und hören Sinnsprüche des großen Eislebeners in einem flüsternden Garten. Ein System aus Stegen führt hier durch Ohrenweiden (salix aurita) hindurch, zwischen denen dem Besucher jeweils zur vollen Stunde aus Periskopen Texte und Zitate des Reformators zugeflüstert werden. Wir überqueren eine Brücke, deren Geländer komplett eingehäkelt ist und landen am Ende der Tour wieder in Luthers Geburtshaus.
Dort gibt uns die Ausstellung „Von daher bin ich - Martin Luther und Eisleben“ Einblicke in die Alltagsgeschichte der Zeit um 1500. In dem Haus, das schon seit Jahrhunderten von den Eislebenern als Museum gepflegt wird, werden zudem die Frömmigkeit und Spiritualität des Spätmittelalters gezeigt, die Luthers Kindheit und Jugend prägten. Für die Kinder von heute gibt es dort besondere Programme, die sie das Leben vor 500 Jahren spielerisch entdecken lassen: Die Kleineren (von 5-7 Jahre) können sich kostümieren und mit Spiel und Spaß die Wohnräume der Familie Luder, wie sie damals noch hieß, entdecken. Die 7-12-Jährigen können aus verschiedenen Werkstattangeboten auswählen und entweder mit Feder und Tusche einen Brief in mittelalterlicher Manier verfassen, eine mittelalterliche Bergbaustadt stempeln oder in Luthers Legendenwelt eintauchen. Und auch für die Teenies ist gesorgt, die sich eingehender mit den Themen der Reformation beschäftigen und sich überlegen, welche Erneuerungen diese in religiöser, politischer, kultureller und sozialer Hinsicht brachte. Sie können Luthers programmatische Schriften unter die Lupe nehmen, eine Lutherrose als Button gestalten oder sich auf eine Fototour durch Luthers Heimatstadt begeben.
Nicht weit vom Geburtshaus entfernt, befindet sich auch das Museum „Luthers Sterbehaus“. Es galt lange Jahre als das Haus, in dem Luther tatsächlich seine letzten Lebenstage verbracht hat. Heute weiß man jedoch, dass Luther nicht im Haus am Andreaskirchplatz 7 starb, sondern am Markt 56, in dem heute ein Hotel untergebracht ist. Da die Stadt Eisleben 1862 jedoch das „falsche“ Haus erwarb, um dort eine Gedenkstätte zu errichten, beließ man es dabei. Der Titel der Ausstellung, die uns dort erwartet, lautet „Luthers letzter Weg“. Sie erzählt von der letzten Reise des Reformators und richtet den Blick aber auch allgemein auf die Auseinandersetzung mit Leben und Tod. Höhepunkt der Ausstellung bilden die so genannten „Sterberäume“ – die Schlafkammer und das Sterbezimmer – mit der im 19. Jahrhundert entworfenen historistischen Ausstattung. Das wichtigste Exponat ist das Bahrtuch, das 1546 Luthers Sarg bedeckte. Auch in diesem Museum gibt es ein buntes museumspädagogisches Angebot, das sich mit existenziellen Fragen beschäftigt: Welchen Sinn hat das Leben? Was kommt nach dem Tod? Wie kann man die Seele nähren? Für die 5-10-Jährigen gibt es zum Beispiel die Werkstattaktion, bei der sich eine Raupe in einen Schmetterling verwandelt, und die den Kindern die religiöse Bedeutung des Osterfestes näherbringen soll. Bei „Warum bist du auf der Welt“ geht es um die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Todes. Anhand einer Collage kann jeder seine ganz persönliche Vorstellung des Themas zum Ausdruck bringen. Jugendliche von 10-14 Jahren können dann noch einen Schritt weitergehen und sich mit den Jenseitsvorstellungen verschiedener Kulturen auseinandersetzen. Sie sollen sich Gedanken zum Paradies machen und überlegen, wie uns die Wertevorstellungen aus dem Garten Eden noch heute inspirieren und beeinflussen.
Als wir wieder im Auto gen Heimat sitzen, ist es ganz still, einträchtig sitzen die Brüder nebeneinander - vertieft in einen Luther-Comic ...

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