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Bergbauspuren überall - die Wasserwirtschaft im Oberharz und am Rammelsberg

In Deutschland ist die Diskussion um die Nutzung regenerativer Energien voll entbrannt. „Energiewende“ heißt das Zauberwort. Die Frage ist, wie in Zukunft der mittelfristige Ausstieg aus der Atomkraft und der verantwortungsbewusste Umgang mit fossilen Energieträgern durch die nachhaltige Nutzung regenerativer Energien kompensiert werden kann. Windkraft, sagt der Norden. Biomasse, sagt der Süden. Und dazwischen die Solarindustrien Mitteldeutschlands, die nach gekürzten Subventionen ums Überleben kämpfen.

Manchmal hilft ein Blick in die Geschichte, um Lösungen für die Zukunft zu finden. Zum Beispiel in die Geschichte der Oberharzer Wasserwirtschaft und der des Goslarer Rammelsberges. Sie zeigt, wie sich die energieintensive Wirtschaft des vorindustriellen Bergbaus im Harz über Jahrhunderte immer wieder innovative und aus heutiger Sicht nachhaltige Lösungen einfallen ließ, um einen kontinuierlichen „Fluss“ der Energie in Form von Wasser zu gewährleisten. Energie, mit dessen Hilfe man Stollen entsumpfen, Förderanlagen betreiben und die Gebläse von Schmelzhütten am Laufen halten konnte. Und ganz nebenbei kann man sich bei der Suche nach den authentischen Orten der Wasserwirtschaft aktiv durch die wunderschöne und wildromantische Berglandschaft des Harzes bewegen, zu Fuß oder mit dem Rad.

Am Anfang war das Erz.

Schon vor mehr als 3.000 Jahren wurde am Rammelsberg bei Goslar Bergbau betrieben, eine Tradition, die hier erst vor nicht mal 30 Jahren 1988 mit der letzen Schicht endete. Neben Tirol, Sachsen und Böhmen war der Harz lange Zeit die wichtigste Bergbauregion des deutschsprachigen Raums, allein in Goslar wurden im Laufe der Jahrhunderte 27 Millionen Tonnen Kupfer-, Blei- und Zinkerze aus dem Rammelsberg geholt. Um es zu verdeutlichen: Das sind mehr als 675.000 vollbeladene 40-Tonner-LKW, Stoßstange an Stoßstange auf einer Strecke, die von Berlin nach Bangkok reicht. Je mehr man grub, je tiefer man grub, desto mehr kämpfte man gegen das (Regen-)Wasser, das in den Berg eindrang. Zeitweise ging dieser Kampf verloren, wie der Niedergang des Goslarer Bergbaus ab dem 13. Jahrhundert zeigt. Doch Krisen sind immer auch Chancen. Und so zeigten die hochtechnisierten Zisterziensermönche des Klosters Walkenried als erste, wie man „Wasser mit Wasser hebt“ und parallel seine Schmelzöfen antreibt. Damit war der Grundstein für ein weltweit einzigartiges Wasserwirtschaftssystem gelegt, das die UNESCO bei Ihrer Ernennung der Oberharzer Wasserwirtschaft zum Welterbe der Menschheit im Jahr 2010 mit der Aussage würdigte, es handle sich um das größte vorindustrielle Energieversorgungssystem der Welt. Keine Untertreibung, bei 107 Teichen, mehr als 300 Kilometer Gräben und 31 Kilometer Wasserläufe, die noch heute erhalten sind.

Das Wasser gluckert und rauscht.

Überall. Wir stehen im Wald, am Sperberhaier Damm, dem großen Harz-Aquädukt, gute acht Kilometer außerhalb der alten Bergbaustadt Clausthal. Seit dem 16. Jahrhundert befand sich der Bergbau des Harzes wieder im Aufschwung. Um tiefer graben zu können, war zur Entwässerung der Gruben und zur Verarbeitung der Erze eine intensivere Nutzung des Wassers als Energiequelle nötig. Dabei war fließendes Wasser im Oberharz rar. So sammelte man das Regenwasser, zum Beispiel das Wasser, das über dem Brocken abregnete. Man leitete es dahin, wo man es brauchte, zu den Gruben von Clausthal und Zellerfeld. Dort, wo die Topographie der Physik einen Strich durch die Rechnung machte, musste geleitet werden. Fast einen Kilometer folgen wir dem Lauf des Dammes, der Anfang des 18. Jahrhunderts von bis zu 500 Arbeitskräften bis zu 16 Meter hoch aufgeschüttet wurde. Das größte Bauwerk der Oberharzer Wasserwirtschaft verschlang mehr Material, als 20 Staudämme der Teiche zusammen. Manchmal überlistete man aber auch einfach die Physik. Das Wasser musste „hoch gehalten“ werden, denn je höher das Wasser, desto mehr Energiepotential barg es.

Hubhaus und Gaststätte

Das Polsterberger Hubhaus, nur viereinhalb Kilometer vom Sperberhaier Dammhaus in Richtung Clausthal, liefert ein anschauliches Beispiel. Das Hubhaus, heute eine der vielen empfehlenswerten Gaststätten entlang der WasserWanderwege im Oberharz, wurde gebaut, um das Wasser aus dem Dammgraben 18 Meter höher auf das Niveau des Hirschler Teiches zu heben. Dieser versorgte die damals ergiebigsten Silberbergwerke, die Gruben Caroline und Dorothea, mit Wasser. Wenig später kommen wir zu den Pfauenteichen. Wie eine Kaskade wurden schon im 16. Jahrhundert diese drei Teiche untereinander angelegt. Sie verfolgten den gleichen Zweck wie alle 149 Teiche, die im Laufe der Jahrhunderte vom Menschen angelegt wurden: möglichst immer, im Sommer wie im Winter, bei Trockenheit und Regenwetter, Wasser als Energiequelle für den Bergbau bereitzuhalten. Aus dieser Perspektive wirkt auch die aktuelle Diskussion um neue Stromleitungen quer durch Deutschland und neuartige Batterie- und Speichersysteme vertraut – zumindest aus Oberharzer Sicht.

Warum Wasserwirtschaft?

Um den Zweck der Oberharzer Wasserwirtschaft zu dokumentieren, hat die UNESCO auch historische Einrichtungen in das Welterbe einbezogen, die das Wasser einst nutzen, zum Beispiel die Rosenhöfer Radstuben in Clausthal Zellerfeld. Unter einem unscheinbaren Satteldach verbirgt sich ein Loch, das einen gefühlt in den Schlund der Erde schauen lässt: Am Boden der  24 Meter tiefen mit Naturstein in verschiedenen Schichten ausgemauerte Radstube befand sich ein Kehrrad, dass Erz förderte. Ebenfalls in Clausthal Zellerfeld ist das älteste erhaltene eiserne Fördergerüst Europas zu bestaunen. In England hatte man sich die Konstruktion abgeschaut und 1876 nachgebaut. Nach der Stilllegung des Clausthaler Reviers 1930 wurde in den Ottiliae-Schacht übrigens ein Wasserkraftwerk eingebaut.

Szenenwechsel: Wer lernen will, wie das Wasser unter Tage genutzt und geleitet wurde, muss nach Goslar fahren. Der nach dem ehemaligen Oberbergrat Roeder benannte Stollen liefert ganz plastisch Antworten auf alle Fragen. Roeder war ein Meister der Wasserkunst und die vier Wasserräder des Stollens gehören zu den Höhepunkten des Besuches am Rammelsberg. Durch ein kleines 200 Jahre altes „Mundloch“ betritt man die unterirdische Welt,  ausgestattet mit Helm und einem ortsüblichen „Glück Auf“. Das von Roeder Anfang des 19. Jahrhunderts erdachte System war ebenso genial wie komplex: Wasser wurde in den Berg geleitet, um mittels Pumpen das Wasser aus dem Berg zu leiten. Das „Abwasser“ wurde ganz nebenbei noch genutzt, um Räder anzutreiben, die das Erz ans Tageslicht beförderten. Nach 1834 geschah das übrigens mit einem Drahtseil, eine Erfindung von Roeders Nachfolger Oberbergrat Albert.

Und heute?

Mit der Wasserwirtschaft in Oberharz und Goslar bewies der Bergbau im Harz über Jahrhunderte seine „Technologieführerschaft“ im Umgang mit regenerativen Technologien. Die Dampfmaschine des 19. Jahrhunderts hatte hier nie eine große Chance, man ging direkt von Wasserkraft zum Einsatz elektrischer Energie über, die mit Wasserkraft erzeugt wurde. Das Besondere der Oberharzer Wasserwirtschaft liegt heute in der Tatsache begründet, dass man ein riesiges Open Air Ensemble authentischer und noch heute funktionstüchtig gehaltener Orte bei entspannten Spaziergängen, Führungen, Wanderungen oder Radtouren erleben und erfahren und sich fast spielerisch mit technologischen, energiepolitischen und umweltpolitischen Fragen auseinander setzen kann. Wenn man nicht einfach nur eine von Menschen über Jahrhunderte geformte und überformte Kulturlandschaft genießen will.

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